BEDARFSPLANUNG NACH DEM PRINZIP HOFFNUNG

Wer entscheidet, was Familien brauchen?

Kinder unter 14 Jahren haben das Recht auf Förderung in einer Tageseinrichtung nach ihrem individuellen Bedarf. Ab 2026 stehen Grundschülern sogar bedarfsunabhängig mindestens acht Stunden täglich an allen fünf Werktagen zu. Der Rechtsanspruch richtet sich gegen das Kreisjugendamt, welches die Bedarfe der Familien rechtzeitig und vor allem bedarfsgerecht erfüllen soll. „Mit den Familien statt für die Familien“ wünscht sich der Kreiselternausschuss Germersheim und fordert eine jährliche Elternbefragung im Rahmen einer guten Bedarfsplanung, wie sie z.B. im angrenzenden Landkreis Südliche Weinstraße (SÜW) bereits Standard ist.

Keine Vorgabe des Bedarfs durch vorhandenen Bestand oder den Geldbeutel der Kommune

Wie in einem Bericht der Tageszeitung „Die Rheinpfalz“ am 17.03.2023 berichtet wurde, benötigt eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern aus Hatzenbühl dringend das aufstockende Freitagsangebot für Ganztagsschüler, um weiterhin in Vollzeit berufstätig bleiben zu können. Ab acht Kindern würde das Land einen Zuschuss für das kostenpflichtige Angebot zahlen, allerdings wird die Ortsgemeinde mit Blick auf den Geldbeutel erst bei zwölf Anmeldungen tätig. Eine genaue Bedarfsermittlung ist somit essenziell, aber die Verwaltung der Verbandsgemeinde Jockgrim lehnt eine Befragung der Eltern ab. Jene mit Bedarfen würden sich zu entsprechend großen Gruppen formieren und selbst an den Träger herantreten, begründet die Verwaltung ihre Untätigkeit. „Das Prinzip Hoffnung und das Arbeitsmittel Glaskugel scheinen bewährte Instrumente bei der Bedarfsplanung zu sein“, äußert sich Julia Stock, Vorsitzende des Kreiselternausschusses Germersheim (KEA GER) nicht ohne Ironie. Denn nicht nur die Bedarfsplanung für die Förderung der Grundschüler, sondern auch für die Kindertagesstätten (Kitas) findet jedes Jahr ausschließlich basierend auf den vor Ort vorhandenen Möglichkeiten, jedoch ohne Berücksichtigung der Bedürfnisse der Familien statt. „Es ist mir unbegreiflich, warum man die beste Informationsquelle zur Erfüllung seines gesetzlichen Auftrags vehement und konsequent ausschließt“, erklärt Stock mit einem Kopfschütteln.

Kleinere Gruppen für entspanntere Kinder und Erzieher:innen

Bedarfsgerecht zu planen bedeutet auch, die Notwendigkeit einer inklusiven Betreuung von Kindern mit Mehrbedarf sowie qualitative Aspekte wie verschiedene pädagogische Konzepte oder Schwerpunkte zu ermitteln und zu ermöglichen. Für eine inklusive und integrative Betreuung ist es zwingend notwendig, dass die Gruppengrößen wesentlich kleiner sind, als es derzeit in nahezu allen Einrichtungen der Fall ist. „Durch aufgeblähte Betriebserlaubnisse und Schaffung langjähriger Provisorien – wie z.B. wegen der Hinhaltetaktik der Verantwortlichen in Winden – werden die Kitas dem Anspruch an eine Bildungseinrichtung schon lange nicht mehr gerecht“, benennt Julia Stock eine mögliche Ursache sowohl für Probleme bei der Personalrekrutierung als auch für die immer häufiger auftretenden Verhaltensauffälligkeiten von Kindern in Tageseinrichtungen. „Sollte es aufgrund von einem erhöhten Betreuungsbedarf zu Einschränkungen in den Betreuungszeiten oder gar der Kündigung des Betreuungsvertrages für ein Kind kommen, so verliert das Kind jedoch in keinem Fall seinen Rechtsanspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung. Da der Betreuungsplatz eindeutig nicht bedarfsgerecht war, bleibt das Kreisjugendamt weiterhin in der Pflicht, einen geeigneten Platz in einem angemessenen Zeitrahmen anzubieten“, klärt Stock über die Rechtslage auf.

Ganztagsbetreuung durch Hortausbau: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Bereits im letzten Jahr zeigte eine Online-Umfrage des KEA GER mit über 300 Teilnehmern, dass der Bedarf an Hortplätzen zu einem Großteil nicht gedeckt wurde. Die Nachmittags- und Ferienbetreuung im Hort ist die familienfreundlichste Betreuungsform für Schulkinder, für die Eltern aber zur Kasse gebeten werden. Im Gegensatz zur Ganztagsschule, die bis auf das Mittagessen komplett kostenlos für die Familien ist, zahlen Familien mit bis zu drei Kindern im Kreis Germersheim aber einen monatlichen Hortbeitrag. Während die Ganztagsschule für ein ganzes Jahr verpflichtende Betreuung bis 16 Uhr vorschreibt, können Hortkinder das Betreuungsangebot während der Schul- und Ferienzeiten jeden Tag individuell nach ihrem tatsächlichen Bedarf nutzen. „Das Rundum-Sorglos-Paket bietet der Hort sowohl durch die flexiblen Betreuungszeiten als auch aufgrund der Betreuung durch pädagogische Fachkräfte. Durch den besseren Personalschlüssel und die kleineren Gruppen ist der Hort zudem wesentlich besser geeignet für die Betreuung von Kindern mit Mehrbedarf“, gibt Julia Stock den Eltern als Entscheidungshilfe mit auf den Weg. Lange Wartelisten würden zeigen, dass vor allem im Hinblick auf die Ganztagsförderung der Schulkinder ab 2026 ein rechtzeitiges und bedarfsgerechtes Aufstocken der Hortplätze notwendig sei. Zuletzt waren die Horte in Westheim und Minfeld allerdings der schlechten Bedarfsplanung zum Opfer gefallen und geschlossen worden. Familienfreundliche Ortsgemeinden, die frühzeitig mit dem Ausbau beginnen und diesen rechtzeitig abschließen, können von der finanziellen Förderung durch Bund und Land profitieren. Es bleibt daher zu hoffen, dass alle Ortsgemeinden und das Kreisjugendamt zeitnah – unterstützt durch eine gute Bedarfserfassung und Planung – mit der Schaffung benötigter Betreuungsplätze für Schulkinder starten, damit nicht wieder die Familien am Ende die Zeche zahlen und in die Röhre schauen.

Anmerkung: Der KEA GER hat aktuell eine ONLINE-UMFRAGE ZUR BEDARFSPLANUNG 2023 laufen. Weitere Infos und Teilnahme unter folgendem Link: https://kea-germersheim.de/umfrage/

Wir dürfen nicht auf Wunder hoffen, wir müssen selbst aktiv werden!

„Der Minfelder Hort wird zum Ende der Sommerferien geschlossen – wenn nicht ein Wunder geschieht.“, so leitet DIE RHEINPFALZ am 30.06.2022 in das nächste Drama einer Hortschließung im Kreis Germersheim ein. Nach dem Hort in Westheim (Verbandsgemeinde Lingenfeld) muss nun auch der allseits beliebte Hort in Minfeld (Verbandsgemeinde Kandel) für die Eltern überraschend schließen. Werden bald noch weitere folgen?

Bisher haben die Nachbarkreise mit neidischen Blicken auf den familienfreundlichen Landkreis Germersheim wegen der vielen Hortplätze geschaut. Doch für die Politik ist der Hort eine aussterbende Institution. Begründet mit dem ab 2026 geltenden Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Schulkinder wird auf den Ausbau der Ganztagsschule verwiesen. Gleichwohl ist und bleibt der Hort neben der Ganztagsschule und der Betreuenden Grundschule eine wichtige Betreuungsform.

Eine nicht repräsentative Umfrage des Kreiselternausschusses Germersheim (KEA GER) im Mai 2022 unter den Eltern ergab bereits ein großes Defizit an vorhandenen Hortplätzen insbesondere in den Verbandsgemeinden Kandel und Lingenfeld, das sich nun nach den Hortschließungen noch verschärfen könnte. Es soll zwar Betreuungsplätze in den Grundschulen geben. Aber neben Verlusten bei den möglichen Betreuungszeiten für die Familien bleibt insbesondere die Abdeckung der pädagogischen Bedarfe fraglich. Hochwertige Betreuungs- und Bildungsangebote am Nachmittag sind gesetzlich verankert und sollen die Chancengleichheit durch bessere Bildungs- und Teilhabechancen verbessern. „Es ist schon irgendwie skurril, dass die Kinder im Hort zwei Fachkräfte brauchen, aber die gleichen Anforderungen für die Betreuung in der Grundschule nicht gelten.“, bemängelt Julia Stock, Vorsitzende des Kreiselternausschusses Germersheim, die geringeren Ansprüche an das Betreuungspersonal in der Grundschule.

Häufig wird die Notwendigkeit der Hortschließung mit dem Mangel an Plätzen zur Erfüllung des seit einem Jahr geltenden Rechtsanspruchs auf sieben Stunden durchgehende Betreuung inklusive Mittagessen begründet. Dass viele Gemeinden noch immer an einem verstaubten Gesellschaftsbild festhalten und notwendige Modernisierungsmaßnahmen für die Erweiterung der Betreuungszeiten vor sich herschieben, kritisiert Stock daher scharf. Ein weiteres Problem sei der seit Langem bestehende Fachkräftemangel, der nun insbesondere durch die Corona-Pandemie und das neue Kita-Gesetz viel stärker ins Scheinwerferlicht gerückt sei. „Der Höhepunkt ist noch nicht erreicht, daher müssen schnellstmöglich Lösungen gefunden werden.“, mahnt sie. Wie in dem Positionspapier des Landeselternausschusses gefordert müsse das Berufsbild der pädagogischen Fachkraft durch finanzielle Aspekte und bessere pädagogische Bildungsarbeit an Attraktivität gewinnen. Insbesondere in Hinblick auf kleine Einrichtungen und Betreuung in Randzeiten solle die Fachkräftevereinbarung dringend nachgeschärft werden. Denn nicht selten sind Horte in RLP eingruppige Einrichtungen, für die laut Personalschlüssel aufgrund der Stundenzahl nicht mal zwei Vollzeitstellen zur Verfügung stehen. Zudem ist das Stellenprofil mit Arbeitszeiten am Nachmittag und in den Ferien für viele pädagogische Fachkräfte wenig attraktiv. So sei es nicht verwunderlich, dass gerade in Horten die Suche nach Personal der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen gleiche. Die Vorgaben des Landes zur Personalbesetzung und –finanzierung beschreiben aber lediglich einen geforderten Mindeststandard, über den Kreise und Gemeinden jederzeit hinausgehen könnten. Werden hier immer alle Mittel und Möglichkeiten ausgeschöpft? Wie viel ist uns als Gesellschaft die Bildung unserer Kinder wert?

„Wir müssen uns dringend gemeinsam dafür einsetzen, das uns zustehende Wunsch- und Wahlrecht auch ausüben zu dürfen!“, ruft Stock die Familien im Kreis auf. Es sei enorm wichtig, die eigenen Bedarfe frühzeitig gegenüber den Einrichtungen sowie der Kreisverwaltung zu formulieren. Hierbei sei eine Aufklärung über die Eckdaten hinsichtlich der unterschiedlichen pädagogischen Konzepte, Betreuungszeiten sowie der entstehenden Kosten unumgänglich. „Vereinbarkeit von Familie und Beruf bedeutet auch, dass jede Familie selbst entscheiden kann, wie viel Familie und wie viel Beruf das richtige Maß ist.“, erklärt Stock.